Eröffnungsvortrag
von Bärbel Martha Peschl (
www.und-martha-tanzt )
anlässlich der
Vernissage zur Kunstausstellung w e i b l ICH
im ATELIERALLERART in Fulda am
4.11.2016
Weibl
ICH
oder
"was mache ich mit dem Weib in mir"?!
Ich
fühle mich sehr geehrt, diese Ausstellung mit Worten einzuleiten und
aus Respekt vor den Künstlerinnen ,
die mit ihren Arbeiten ein
Kaleidoskop des Möglichen entstehen ließen, indem sie spontan und
subjektiv
ihrer Intuition gefolgt sind, werde
auch ich mit Worten in freier Assoziation jonglieren
– oder
besser gesagt : mich von den Worten jonglieren lassen....
Was
ist weiblich ?
Weiblich
ist : Wenn Charlotte Martha fragt, ob sie die Eröffnungsrede
zur
Kunstausstellung im ATELIERALLERART halten möchte
und Martha als
einen ersten Gedanken hat : Was ziehe ich an ?!?
Das
Ergebnis dieser grundlegenden Überlegungen sehen Sie vor sich
und
erkennen leicht, dass ich die ultimative Variante gewählt habe :
.....zarte Spitzen ... schillernde Perlen ... luftigleicht duftigen Tüll
... und .... rosa ! Rosa als Farbe des Gefühls.
Ordnung
muss sein: weibliche Babys bekommen rosa Strampler
– männliche
erhalten hellblau, - blau ist schließlich die Farbe des Verstandes,
- und wir wollen nichts durcheinanderbringen.
Ein
Herr ist ein Herr – eine Dame ist eine Dame.
Und
ein Herr ist nun mal herrlich -und eine Dame bleibt nun mal dämlich.
Au
– wei – a !
...wei...wei....wei...
wei
– blich
wei
– nen
wei
– ch
wei
– te
wei
– se
sich
wei – gern
Okay.
Weigern wir uns, diesen Zuschreibungen blind
zu folgen
und gehen der Sache
auf den Grund.
Der
Kern von "weiblich" ist WEIB .
Im
Weiberlexikon erfahren
wir :
Im
Mittelalter war "Weib" die übliche Bezeichnung für die
verheiratete Frau.
Später
wandelte es sich zum Schimpfwort: "Weibstück",
"Drecksweib", Weibsmensch"
oder mit einem Hauch
sexueller Bewunderung: "Teufelsweib" - auch stolzes Weib,
rassiges, tolles Weib - kurzum: das Weib hat es in sich.
Als
Weib bezeichnete man die nicht angepasste, beherzte,
die sexuell
freizügige und potente Frau, die
in der Verkleinerung "Weibchen"
und in der Ableitung "weiblich"
genießbar gemacht wird. Das Weib war offenbar
den Männern eine Nummer zu groß, weshalb sie ihm die bürgerliche
Ehrerbietung
entzogen. Den rebellischen Frauen von 1968 und folgenden
Jahren
galt "Weib" als Ehrenname: Weiberzeitung,
Weiberfest, Weiberrat....
Ja,
da stehen wir nun - eingeklemmt zwischen Ohnmacht und Omnipotenz.
Hure
oder Heilige.
Man
möchte uns gerne festnageln. Unser Rebellischsein einfangen.
In
dem ermutigenden Buch Das Schwarzmondtabu erläutert
Jutta Voss
anhand von archäologischen Skulpturen und Abbildungen aus
vielen Jahrhunderten,
wie
die kraftvolle Frau immer mehr erniedrigt wurde und da diese
Entwicklung
anhand von Schweinesymbolen aufgezeigt wird, fasst die
Wissenschaftlerin
diese Entwicklung sehr einprägsam und anschaulich
mit folgenden Worten zusammen :
Die
Frau wurde von der freiheitsliebenden Wildsau zum Hausschwein
domestiziert.
Und
als makabrer Beleg für die Richtigkeit ihrer Schlussfolgerungen
wurde sie, die Theologin ,
exkommuniziert und ihres Amtes enthoben.
Was
machen solche Erfahrungen mit uns, mit unserer Weiblichkeit?
Mit
unserer weiblichen Identität ?
Was macht es mit uns, wenn wir in
dieser Welt der Doppelstandards leben?
Eine Welt, in der die Herren
aus aller Herren Länder die herrliche Herrschaft ausüben
- während
die Damen dämlich sind ?!
Die
Französin Brigitte Giraud erinnert sich in ihrem aktuellen Roman
mit
dem Titel Einen Körper haben – Frau sein :
Anfangs
ist mir nicht bewusst, dass ich einen Körper habe.
Ich weiß nicht,
dass ich ein Mädchen bin. ... Ich spüre, dass ich mich wehre,
aber
ich weiß nicht, wogegen. Ich wehre mich gegen alles Mädchenhafte,
weiß es aber nicht. Alles Zarte, Empfindsame. Ich bin ein
Bulldozzer,
ein kleiner Fels, der nicht weint, wenn er sich die Knie
aufgeschürft hat.
... Ich schiebe beim Gehen die Hände in die
Taschen, sage "Mhmm",
ich sage "schon klar". ...
Meine Mutter entscheidet für mich ein Schicksal
als Mädchen und die
Kleider, die sie für mich näht, sind viel zu eng,
ersticken mich
eher, als dass sie mich umhüllen. Sie merkt nicht,
dass sie mich
daran hindert, mich zu bewegen, zu atmen, zu widersprechen
....Ich
will ausbrechen, lehne diese Sachen ab. ... Ich spiele mit Sand,
forme aber keine Mädchensachen wie Kuchen und Törtchen,
sondern
normale Sachen , mit verkalkten Muscheln und stinkenden Algen.
Ich
vermische Sand und Wasser und stelle mir dabei vor,
ich sei eine
kleine Baufirma. Ich baue Brücken und Gräben und Burgmauern.
Meine
Mutter sagt, eine Prinzessin sei in meinem Turm eingesperrt,
eine
Prinzessin in einem paillettenbesetzten langen Kleid,
die man
befreien müsse.
Auf meiner Baustelle hat eine Prinzessin jedoch
nichts zu suchen,
meinetwegen kann sie krepieren !
Ist
das die Lösung ? Die Prinzessin in uns krepieren zu lassen?
Auf
dass wir zu Männern werden? ...der Welt und uns zeigen ,
dass wir "unseren Mann stehen"
können?
Vielleicht
sollten wir , statt uns selber zu zerteilen,
lieber
ganz werden, uns voll und ganz leben.
Vielleicht
sollten wir wie im Tanz der Rhythmen in unserem dansa de la vida
alle
Rhythmen tanzen : das weiche , sanfte Flowing ebenso wie das harte,
kantige , zielbewusste Staccato und vor allen Dingen das Chaos , wild
tanzen
und alles abschütteln , was uns im Nacken hängt, was uns
lähmt ,
alle Richter davonjagen, die uns vorschreiben wollen, wie
wir zu sein haben,
die uns bewerten wollen...., damit die sichtbar
werden kann und gespürt
und gesehen werden kann, die wirklich in
uns wohnt, dass sie mutig wird
und sich nicht verstecken muss, aus
Angst, bewertet und betitelt zu werden.
Betrachten wir uns mit
unseren eigenen Augen
und leben in Eigenmacht und Definitionshoheit.
Erlauben
wir uns, ganz zu leben, alle unsere Anteile,
- die innere Frau, den
inneren Mann, das innere Kind.
Und leben wir all unsere Eigenschaften
und benennen sie als das, was sie sind :
zart, fließend, weich, hart
, kantig, zielbewusst... und zwingen sie nicht
in ein Korsett von
männlich und weiblich; dieses Korsett raubt uns viele
unserer
wertvollen und liebenswerten Eigenschaften:
den Männern raubt es die
zarten Anteile und den Frauen die kantigen.
Lassen wir diese
Zweiteilung und erlauben wir uns die freie Mischung der Zutaten:
Kürzlich
wurde im Radio die große Ikone der amerikanischen Freiheitsbewegung
Joan Beaz beschrieben und man bewunderte ihre "sanfte
Entschlossenheit"
und stellte staunend fest, dass sie eine große
Kraft und Autorität besaß,
obwohl
sie in langen Röcken und braven Folkloreblusen auftrat.
Wenn wir
unsere innere Autorität leben, brauchen wir kein Schwert
und keinen
Anzug mit Bügelfalten .
Mein Lieblingswort dazu ist "unangestrengte
Kraft" ...
Und
so lade ich die Mädchen und Frauen dazu ein, den Mut zu haben,
weiblich
zu werden , indem sie auf die Schätze schauen, die in ihnen
wohnen,
die ihnen niemand zuteilen oder wegnehmen kann. Werden wir
wieder
zu Jungfrauen im eigentlichen Sinne, "Jungfrau"
im Sinne einer Frau,
die keinem Manne angehört.
Die
Philosophin Luce Irigaray benennt in diesem Zusammenhang
die
Bedeutung des weiblichen Atems :
...
Die Erbsünde der Frau besteht darin, den eigenen Atem zu
vergessen
und ihren Atem dem der anderen anzupassen.
Der
Atem ist die erste autonome Geste des neuen Lebens.
.....Die
Jungfräulichkeit, die Virginität, wäre die Rückkehr des
Weiblichen zu sich,
.... Jungfrau sein , bleiben oder werden
heißt,
sich ein ICH zu bewahren in der Gemeinschaft mit anderen,
.....
Weibl ICH sein heißt demnach, ich bewahre das Weib in mir ,
die
neugierige, tollkühne, sanfte, wagemutige, schöne und kreative,
die
ihre eigene Unversehrtheit und Ganzheit liebevoll und achtsam
bewahrt.
Und
die stolz ist, stolz auf sich und ihre Ahninnen ,
die die Freundin
neben sich weiß
und die Ahnin stärkend in ihrem Rücken, ...
so
wie die japanische Nonne Yoshihimes, die im 14.Jahrhundert lebte
und
den Namen "Teufelsmädchen" trug. Als ein Mönch sie
prüfend fragte:
"Welches ist das Tor, durch das die Buddhas in
die Welt kommen?!",
nahm sie seinen Kopf , presste ihn zwischen ihre
Beine und rief lachend : "Sieh! Sieh! "
Und so stellte sie
den männlichen Überlegenheitsanspruch bloß, indem sie
die
einfachste Wahrheit in die Welt rief :
Alle Wesen, auch die Buddhas,
kommen durch die Gebärmutter und die Vagina ihrer Mutter in die
Welt.
Eine
einfache Wahrheit.
Eine
Selbstverständlichkeit.
Die
unangestrengte Kraft.
Und
so schaue ich ein letztes Mal auf den scheinbar einfachen
und doch
vielsagenden Titel dieser Ausstellung und betrachte ihn
im Sinne der
großen amerikanischen Künstlerin Louise Bourgeois, die gesagt hat :
KUNST HANDELT NICHT VON KUNST , SONDERN VOM LEBEN
Und
so schaue ich auf die Lebensweisheit von "weiblich":
Wir
haben das "Weib"
und
wir haben "Ich"
...
und was haben die beiden miteinander zu tun ?
Die
Lösung ist wie so oft unscheinbar :
da
ist noch ein "L", ein L ganz zentral in der Mitte ...... : WEIB L
ICH
"L" wie "Liebe":
also
bedeutet WEIB L ICH:
ICH LIEBE das WEIB in mir !!!!!!!!
Bibliografie
der zitierten Bücher in der Reihenfolge der Nennung im Vortrag
-
Florence Hervé / Renate
Wurms (Hg) : Das Weiberlexikon. Von Abenteurerin bis
Zyklus., PapyRossaVerlag , Köln 2006
-
Jutta Voss: Das Schwarzmondtabu. Die kulturelle Bedeutung
des weiblichen Zyklus, S.FischerVerlag, Frankfurt 1987
-
Brigitte Giraud : Einen Körper haben – Frau sein. Roman,
S.Fischer, Frankfurt 2016
-
Luce Irigaray : Der Atem
von Frauen, Christel Göttert Verlag Rüsselsheim, 1997
-
Luce Irigaray : Die Zeit
des Atems. Le temps du souffle. L'epoca del respiro. The age of the
breath. Chistel Göttert Verlag Rüsselsheim 1999, 2.Aufl. 2005
-
(betr. Yoshihimes ) Florence Caplow / Susan
Moon ( Hg): Das verborgene Licht. 100 Geschichten erwachter Frauen aus
2500 Jahren betrachtet von (Zen-)Frauen heute, edition steinrich Berlin
2016
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